Sahra Wagenknecht

2022 - 4 - 8

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Image courtesy of "Berliner Zeitung"

Sahra Wagenknecht im Interview: „Ich bin kein bedingungsloser ... (Berliner Zeitung)

Die Linkenpolitikerin spricht über ihre hochumstrittene Haltung zum Ukrainekrieg, die vielen Fernsehauftritte und ihre Ablehnung jeder Art von Impfpflicht.

Außerdem ist Russland die zweitgrößte Atommacht der Welt und wie andere Großmächte denkt es in Einflusssphären. Eine ehrliche Position dazu ist nur möglich, wenn man nicht mit zweierlei Maß misst. Wenn man wirklich gesellschaftliche Solidarität groß schreibt, dann wäre ein ganz wichtiger Punkt, dass wir die Finanzierung unserer Krankenhäuser endlich wieder am Gemeinwohl ausrichten, dass wir wegkommen von den Fallpauschalen und den Pflegenotstand bekämpfen. Dass viele Menschen für die Impfpflicht sind oder waren, liegt ja daran, dass man ihnen eingeredet hat, dass sonst die Krankenhäuser überlastet sind und wir möglicherweise Triage durchführen müssen. Dazu ist es glücklicherweise nie gekommen. Man hat Krankenhäuser auf Profit getrimmt, Personal ausgedünnt und Löhne gedrückt. Daran hat sich bisher nichts verändert. Echte Solidarität bedeutet für mich, dass eine Gesellschaft mehr Ressourcen bereitstellt für ein gutes Gesundheitssystem, das den Schwachen, den Älteren, den Vulnerablen am meisten zugutekommt. Nein. Eine Impfpflicht ist ja eher eine autoritäre Maßnahme und traditionell fand man das nicht links. Was ich auch scheinheilig finde, ist das Gerede von einer „Zeitenwende“. Ja, dieser Krieg ist ein Verbrechen, das Leid der Menschen in der Ukraine ist unermesslich. Man bekommt manchmal den Eindruck, dass Sie losgelöst von Parteipolitik – auch der Politik Ihrer eigenen Partei – eine eigene Agenda verfolgen. Wenn das so ist, dann verlängern Waffenlieferungen nur den Krieg und erhöhen die Zahl der Opfer. Wenn es außerdem so ist, dass es bei diesem Krieg nicht um einen Wertekonflikt zwischen westlichen Demokratien und einem autoritären Staatssystem geht, sondern um Einflusszonen, dann gibt es eine Basis für Verhandlungen. Der Schlüssel ist eine garantierte Neutralität der Ukraine als Preis für ein Ende der Kampfhandlungen und einen Rückzug der russischen Truppen. Was die Wirtschaftssanktionen angeht: Ich habe nichts gegen Sanktionen, die Putin und sein Umfeld persönlich treffen. Wenn das aktuell nicht der Fall ist, muss man fragen, wieso mit einem Militärbudget von 50 Milliarden Euro solche elementaren Aufgaben nicht erfüllt werden. Aber bei den aktuell beschlossenen Maßnahmen sehen wir doch, dass sie uns mehr schaden als Russland. Der russische Rubel-Kurs ist fast wieder auf dem Stand von vor dem Krieg – auch weil der größte Teil der Welt sich an den Sanktionen gar nicht beteiligt. Das wäre vielleicht die einzige Möglichkeit, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt, aber es würde mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem nuklearen Inferno führen, das wir in Europa nicht überleben würden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir, bei aller emotionalen Betroffenheit, unseren Verstand nicht ausschalten. Der Konflikt in der Ukraine hat das Potential, zu einem dritten Weltkrieg zu eskalieren. Der Ausspruch „Ich bin entsetzt“ Ihres Kollegen Gregor Gysi bezog sich auch auf die Emotionslosigkeit, mit der Sie das Thema aus seiner Sicht behandeln.

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