Die Schweiz hebt die meisten Corona-Einschränkungen auf, obwohl die Inzidenzrate höher ist als in Deutschland. Der Gesundheitsminister...
0 0 0 0 Die Schweiz ist mit einem vergleichbar liberalen Weg nicht schlecht durch die Pandemie gekommen. Zum Höhepunkt der Omikron-Welle hätten sich 30 bis 40 Prozent der Menschen in der Schweiz infiziert. In der Schweiz sind bisher nur 68 Prozent der Einwohner vollständig geimpft. In gut einem Fünftel der Betten liegen Covid-19-Patienten. In diesem Fall würden auch die letzten Einschränkungen fallen. Nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) sind die Intensivstationen derzeit zu 74 Prozent ausgelastet. Die Homeoffice-Pflicht hatte der Bundesrat schon vor zwei Wochen aufgehoben; nun hat er sogar die Empfehlung zurückgezogen, möglichst von zu Hause aus zu arbeiten. Von diesem Donnerstag an muss in der Schweiz niemand mehr ein Impfzertifikat vorweisen, wenn er ein Restaurant, ein Fitnessstudio oder ein Theater betreten will.
Die Schweizer Regierung hat fast alle Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus aufgehoben – und bittet um Toleranz für jene, die sich weiter schützen wollen.
Mit seiner Warnung vor zu viel Enthusiasmus wollte Cassis vermutlich zur Rücksichtnahme auf diejenigen aufrufen, für die eine Ansteckung weiterhin sehr gefährlich wäre. Gesundheitsminister Berset erinnerte, zumindest in aller Kürze, auch an die fast 13.000 Todesopfer der Pandemie in der Schweiz, die Zahl nannte er jedoch nicht. Die meisten Gegner der Restriktionen sind politisch im Lager der SVP zu verorten. Cassis und Berset hatten vor zwei Wochen in Aussicht gestellt, dass die Schweiz wie Großbritannien und Dänemark eine vollständige Öffnung wagen könnte, unter der Voraussetzung, dass die zuletzt sehr hohen Infektionszahlen sinken und die Auslastung der Krankenhäuser und Intensivstationen abnehme. Auch Berset betonte am Mittwoch auffällig oft, dass weiterhin besonders gefährdete Menschen geschützt werden müssten. Deshalb halte man an der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr noch fest, auf den viele angewiesen seien. Cassis, der selbst Arzt ist, nahm gestern noch während der Pressekonferenz seine Maske ab, lachte und hustete. Ältere Befragte sprachen sich stärker für die Beibehaltung der Maskenpflicht aus als Jüngere. Die besondere Lage ist ein im Epidemiengesetz geregelter Ausnahmezustand, der vorübergehend die Kompetenzen der Regierung in Bern erweitert. Im hiesigen Diskurs, der von wirtschaftlichen und libertären Argumenten dominiert wird, waren Leiden und Tod oft kurz gekommen. Die Akzeptanz von Beschränkungen der individuellen Freiheit, selbst im Dienste einer guten Sache, ist in der Schweiz kleiner als anderswo in Europa. Alle Gliedstaaten der Eidgenossenschaft hatten in Konsultationen die nun beschlossene Aufhebung der Schutzmaßnahmen unterstützt. Die Auslastung der Intensivstationen sank im selben Zeitraum leicht von 75 auf gut 73 Prozent. Eine Überlastung der Krankenhäuser sei nun sehr unwahrscheinlich, sagte Gesundheitsminister Berset. »Die Pandemie hat ihren Schrecken verloren.« Wissenschaftliche Beratung benötigt der Bundesrat deshalb offenbar nicht mehr – wenigstens nicht in der Form der eigens eingerichteten Corona-Taskforce. Diese legt ihr Beratungsmandat auf eigenen Wunsch zum Ende März nieder, zwei Monate früher als vorgesehen.
Ab Donnerstag gelten nur noch die Maskenpflicht im öV und in Spitälern sowie die Isolation. Alle anderen Corona-Massnahmen sind aufgehoben.
Die Schweiz macht es auf die Schweizer Art. Mit Contenance – und mit einem Mediziner, der momentan der politische Primus ist in der Landesregierung. «Natürlich müssen wir keine Angst haben vor einer Rückkehr zur Normalität», sagte Bundespräsident Ignazio Cassis am Mittwoch vor den Medien. Und dann das helvetische Aber, diese Konjunktion der Selbstdisziplin und Zurückhaltung. «Aber», so Cassis, «wir sollten auch nicht zu enthusiastisch sein.» Jahrhundertpandemie, die grösste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg – wie beendet man ein kollektives Grossereignis, für das zwei Jahre lang kein Superlativ zu hoch gegriffen war? Trotzdem mahnte Bundespräsident Ignazio Cassis zur Vorsicht: «Wir sollten nicht zu enthusiastisch sein.»